Ode an den Herbst

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Wie jedes Jahr kam der Herbst, doch diesmal war er anders. Überwältigend.

Morgens ist der Himmel knallblau. Disneyfilmblau. Die Sonne leuchtet, als gäbe es kein morgen. Der Mond leuchtet immer noch, rund und weiß wie in einem amerikanischen Katastrophenfilm. Stereo-Glühen. Die Straße ist nass und silbern wie Alufolie und es riecht nach Blättern und Asphalt. Männer in neonorange schieben Mülltonnen über den Gehweg und die Bauarbeiter tragen T-Shirts, noch immer. Alles ist grell und farbig und innerlich laut. Der Wind zerrt an Markisen und darunter sitzen braungebrannte Menschen in karierten Hemden und trinken Espresso. Sie sagen das Wort nicht, sie spielen Sommer und planen prophylaktisch Billigflugreisen, gegen die Dunkelheit.

Auf dem See: Möwen und Wellen und Geschwindigkeit. Segelboote in Schräglage und Männer mit Bärten. Der Himmel ist 3D, Wolkenberge in weiß und gelb und dunkelgrau und dazwischen die Sonne, glitzernd wie eine Discokugel. Euphorie und Mutproben und nochmal in das kalte Wasser springen, noch einmal alles geben und hinterher die Mütze auf den Kopf.

Frühes Aufstehen und der Geruch von Holzkohle. Sonnenblumen und Schokoladeneis. Wir zählen die Stunden, blaues Zwielicht legt sich über die Stadt, wie gut, dass man keine Landstraße fahren muss, mit zusammengekniffenen Augen gegen die Dämmerung.

Beton und Basketball und Teenagerverknalltheit, rücksichtslos.

Um 18 Uhr Regen und rote Rücklichter, mit dem Fahrrad durch Pfützen und das Wasser spritzt hoch.

Jogger zwischen Plattenbauten und dort, wo sich Trunkenheit und Elend treffen ein pinker Himmel über schwarzen Gleisen, gleich kommt der Zug.

Ein Haus ohne Fenster, nur unten ein blinkendes Herz. Mit dem Fahrrad über die Kreuzung, die Straßen sind dunkel und daneben eine Tankstelle. Es riecht nach Malz und Süßigkeit und eine Frau trägt ihre Einkäufe nach Hause.

Schneller geradeaus, keine Zeit zu verlieren. Das Herz schlägt laut, weiter, weiter, on the road.

An der Turnhalle vorbei und zweimal links und dann: der kleine See, versteckt und lautlos zwischen Wohnriegeln und Kleingärten. Das Wasser dunkelblau und gegenüber ein Strand und eine Rutsche, außer Betrieb.

Es riecht nach Erde und kaltem Wasser und gelbe Laternen spiegeln sich auf der Oberfläche. Vögel rufen, aus der Kneipe kommt Musik und man kann sie immer hören, die große Straße.

Dazwischen, leise und rebellisch, zirpende Grillen. Und die wilde Lust auf Rock‘n‘Roll, hinein in die Kälte, wirbelnde Blätter und das große Abenteuer: der Sommer ist vorbei, man muss rennen, um nicht zu frieren. Schneller, weiter, lauter und morgen leuchtet wieder der Himmel, die Welt dreht eine Runde und los geht sie: die Jahreszeit der Punks.

(Erstveröffentlichung: Oktober 2012 auf Umwege im Orbit)

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